Zitat (Doppelklick zum übernehmen) | Jetzt sind die Details über das geplante Aussehen des umstrittenen Gesetzes bekannt geworden. Der Regierungsentwurf über das Gesetz zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung enthält einige Änderungen gegenüber dem Referentenentwurf aus dem Vorjahr. Als einzigen Lichtblick hat man im Vergleich zum Entwurf darauf verzichtet, anonyme E-Mail-Konten in Deutschland grundsätzlich verbieten zu wollen. Allerdings sind die Vorgaben für viele Anbieter stark ausgeweitet worden, was im nächsten Jahr aus finanziellen Erwägungen zum Ende privater Organisationen wie TOR und diverser kleiner Firmen der IT-Branche führen wird.
Anstatt anonyme E-Mail Adressen zu verbieten, werden die Pflichten der Anbieter stark ausgedehnt. Gespeichert werden demnach nicht nur die Emailadressen von Absendern und Empfängern wie vormals in der Richtlinie vorgesehen. Gespeichert werden soll jetzt auch:
1.) die IP-Adresse des Nutzers bei jedem Versenden einer E-Mail, 2.) die IP-Adresse des Absenders bei jedem Empfangen einer E-Mail, 3.) die IP-Adresse des Nutzers bei jedem Zugriff auf das Postfach.
Die Sammelwut der deutschen Behörden geht also viel weiter, die EG-Richtlinie schreibt in diesem Punkt lediglich vor, dass der ISP speichern muss, wer wann mit welcher IP-Adresse im Internet unterwegs war. Der deutsche Entwurf will jetzt außerdem, dass E-Mail-Anbieter bei jedem Zugriff die IP-Adresse des Nutzers sechs Monate auf Vorrat speichern, aber auch die IP-Adressen der Absender von E-Mails. Benutzer eines ausländischen Freemail-Dienstes können sich nicht auf einen Schutz verlassen, außer sie schalten einen Anonymisierungsdienst zwischen, der aber ab dem 1.1. 2008 in Deutschland nicht mehr angeboten werden darf.
E-Mail-Anbieter müssen vorhandene Bestandsdaten ihrer Kunden (Name, Anschrift, Geburtsdatum, E-Mail-Adresse) künftig im Wege des automatisierten Abrufverfahrens (§ 112 TKG) einer Vielzahl von Behörden zum Online-Abruf bereitstellen. Für kleinere, unentgeltliche Anbieter werden die damit verbundenen Kosten sicherlich im Laufe der Zeit das Aus bedeuten, zumal sie auch die Verkehrsdaten ihrer Nutzer speichern müssen. Die Ausnahmen der TKÜV für kleine Unternehmen gelten für die Vorratsspeicherungspflichten nicht.
The Online Router, TOR, Anonym, DienstAnonymisierungsdienste sollen weiterhin zur Vorratsspeicherung verpflichtet werden. Jeder in Deutschland sitzende Anbieter eines TOR-Knotens wird unter Bußgeldbewehrung verpflichtet sein, zu protokollieren, wann er welche IP-Adresse durch welche andere IP-Adresse ersetzt hat. Diese Bestimmung erfasst auch so genannte Remailer und Proxys. Da die meisten Betreiber kostenloser Anonymisierungsdienste eine Vorratsprotokollierung nicht leisten können, wird diese Bestimmung das weitgehende Aus für Dienste wie TOR in Deutschland bedeuten.
Eine Identifizierungspflicht für Telekommunikationsnutzer soll nicht mehr nur für die Vergabe von Rufnummern gelten, sondern für die Vergabe sämtlicher Anschlusskennungen außer E-Mail (§ 111 TKG-E). Als Beispiel "sonstiger Anschlusskennungen" nennt die Begründung DSL-Anschlüsse, aber es könnten jegliche IP-Adressen erfasst sein.
Die Verwendung vorratsgespeicherter Verkehrsdaten soll nicht mehr nur zur Strafverfolgung, sondern jetzt auch "zur Abwehr von erheblichen Gefahren" und "zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben" aller Geheimdienste erlaubt werden (§ 113b TKG-E). Der Unterschied hört sich zunächst geringfügig an, so ist es aber nicht. Durch die Aufnahme der Gefahrenabwehr und Geheimdiensten erweitert sich der Kreis der zugriffsberechtigten Behörden massiv. Eine "erhebliche Gefahr" kann die Polizei schon annehmen, wenn Hinweise für die Vorbereitung einer Straftat vorliegen, die nicht gerade im Bagatellbereich liegt. Und bei den Geheimdiensten ist eine richterliche Anordnung nicht Voraussetzung eines Datenzugriffs. Ausnahmen für Zeugnisverweigerungsberechtigte wie z.B. Verteidiger, Ärzte, Journalisten gelten hier nicht. Es sind darüber hinaus immer wieder Fälle bekannt geworden, in denen Geheimdienste demokratische Abgeordnete beobacht und Journalisten bespitzelt haben.
Auch die Musik- und Filmindustrie wird Internetnutzer künftig besser identifizieren können. Denn die Zugriffsbeschränkung für Vorratsdaten in § 113b TKG-E gilt nicht für Identifikationsdaten (Bestandsdaten), sondern nur für Verbindungsdaten. Identifikationsdaten (Name, Anschrift, Geburtsdatum des Nutzers einer Rufnummer oder IP-Adresse) sind mindestens 1 Jahr lang auf Vorrat zu speichern. Diese können ohne richterliche Anordnung abgefragt werden, und das schon zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten (Falschparken usw.).
Privatspähre, o2, Datenschutz, Telekommunikation, Gesetz, EntwurfAuch die Film- und Musikindustrie und andere Rechteinhaber sollen Auskunft über die Identität der Kommunizierenden verlangen dürfen, etwa um die Benutzung von Tauschbörsen im Internet verfolgen zu können. Wenn die Bundesjustizministerin sagt, ein Zugriff der Wirtschaft sei ausgeschlossen, ist das hochgradig irreführend: Ausgeschlossen ist nämlich nur die direkte Abfrage von Verbindungsdaten. Wenn aber die ermittelnden Firmen oder Rechtsanwaltskanzleien die IP-Adresse des Nutzers aber schon zur Hand haben, brauchen sie nur noch die passende Anschrift und den Namen. Und diese Abfrage soll die Wirtschaft sehr wohl direkt über den Provider vornehmen dürfen. Dies ist definiert als Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums. Bisher scheiterte das daran, dass die Zugangsprovider nicht speichern dürfen, wem welche IP-Adresse zugewiesen war. Der Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung wird dies grundlegend ändern. Kleiner Trost am Rande: Immerhin sollen direkte Datenabfragen der Wirtschaft einen richterlichen Beschluss und eine gewerbliche Rechtsverletzung voraussetzen. Die deutschen Gesetzgeber preschen auch hier weit vor. Nach EU-Recht sollen Zugriffsrechte nur zur Verfolgung schwerer Straftaten vergeben werden. Darunter fallen sicherlich keine Verletzungen des Urheberrechts.
Die Speicherpflichten sollen ab dem 1.1.08 gelten, und zwar auch für Internetdienste (E-Mail, Internetzugang, Anonymisierungsdienste). Der nach der Richtlinie mögliche Aufschub für Internetdienste bis zum 15.3.09 soll nicht erfolgen (Artikel 16 des Entwurfs).
Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat eine externer Link in neuem Fenster folgtZusammenstellung aller Punkte, in denen der deutsche Gesetzentwurf über die EG-Richtlinie hinaus geht veröffentlicht.
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